"Diese Ausstellung ist für mich so etwas wie ein Rapport im Sinne alter Schlachtenmaler, eine erste Bilanz." Jens Rusch suchte das Heerlager, das "Holy Land" der Headbanger und Schwermetaller vor seiner eigenen Ateliertür im norddeutschen Wacken auf. Hunderte von Bildern entstanden in seinem Kopf, Sozialstudien und Kuriosa, Karnevaleskes wie Morbides, Schrankenloses wie Friedfertiges. Ein Kosmos den er auf seinen Leinwänden zu ordnen versucht. Die Ausstellung zeigt erste Ergebnisse.
Ein sehr lautes Füllhorn
In seinen Bildern finden sie sich, die Heavy Metall-Rollis, die zarten Schönheiten und die gepiercten Walküren, die Weltkuhträger und Evil Elvis - und Rusch erfindet immer neue Szenerien, die Wacken zum Welttheater werden lassen. Zu seinem Welttheater. Ein Schlachtenmaler im Heerlager der lautesten Musik der Welt. An seinem mentalen Pinboard stecken Unmengen an noch ungemalten Phantastereien, zu denen man sich nur noch die richtige Musik hinzudenken muss. Richtig laute, richtig gute, kopfschrankenbrechende Musik.
Die bereits gemalten Bilder zeigen Wacken aus einem bislang kaum dokumentierten Blickwinkel. Jens Rusch sucht seine Szenen mit dem sicheren Gespür des Erfassers, der durch die Schule der Norddeutschen Realisten ebenso gegangen ist, wie durch das Laboratorium des Bilderkonstrukteurs Norman Rockwell. Die realistische Darstellungsweise ist ihm durch die Zucht und Lehre einer strengen Bildauffassung seines Mentors Prof. Eberhard Schlotter zur Handschrift geraten.
Gemalte "Sozialstudien" ?
In der Kunst-Zeitschrift "Tendenzen" wurde Jens Rusch im Artikel "Qualität und Engagement" gemeinsam mit Harald Duwe vorgestellt. Ihre Herkunft ist nicht die einzige Gemeinsamkeit der beiden schleswig-holsteinischen Künstler. Die im Artikel gebräuchliche Genre-Bezeichnung "Gemalte Sozialstudien" wäre eine unfaire Bezeichnung für den Themenhintergrund, denn am Ende steht die Frage nach der Qualität eines Gemäldes. Das letzte Wort hat immer das Bild und der inhaltliche Aspekt ist nur eines der Bewertungskriterien. Was also macht aktuell das Thema "Wacken" für den Kulturpreisträger Jens Rusch so interessant?
Kein einziges Konzert des Schleswig-Holstein Musikfestivals kann auch nur mit zehn Prozent der Zuschauer des W:O.A aufwarten - und dennoch ist der gesellschaftliche Rang des SHMF im Bewusstsein der Öffentlichkeit höher angesiedelt. Wer bestimmt diese Parameter?
In der kurzen Liste eigenständiger Liberalisierung stellt das Wacken-Festival ein Phänomen dar. In 22 Jahren fand auf den Wiesen und Äckern ein bemerkenswerter Prozess statt, der als Indikator für umfassende gesellschaftliche Randbedürfnisse dienen könnte. Der selbst inszenierte Ausnahmezustand integrierte sich nicht nur in das vom Veranstalter vorgegebene Konzept, er wurde Bestandteil und sein Habitus erwies sich sogar als richtungssteuernd.
Nicht nur, daß das Thema vor seiner Atelier-Tür stattfindet - es ist auf vielfache Weise zwingend. Gesellschaftliche Regularien scheinen in Wacken nicht nur ausser Kraft gesetzt, sie werden auch häufig ins völlige Gegenteil gekehrt. Das allein ist noch nicht erstaunlich. Völlig verblüffend ist hingegen, daß das nicht nur niemanden stört - es wird geradezu an die oberste Stelle der langen Liste der Erwartungen postiert. Der Wacken-Kult verstört anscheinend nur noch jene, die nicht daran teilnehmen. Bei der medialen Bewertung der überraschenden Friedfertigkeit der Massen wird oft die Ventilfunktion einer ungewöhnlichen Musik übersehen, wennauch nicht überhört. Die Kapriolen fast aller journalistischen Analysen stochern fast durchgehend im Nebulösen. Es scheint alles erlaubt - mithin ein wunderbares Terrain für einen bildenden Künstler dem es keine Mühe bereitet, Menschen darzustellen. Freiräume zu thematisieren ist jedoch eine vergleichsweise schwierige Aufgabe. Der "Holy Ground" wird zum extrem unwegsamen künstlerischen Parcours.
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